SICHTBAR
PIÈCES
Kurzprosa/Lyrik
Kleine und kleinste Begebenheiten, Bewegungen, Begegnungen werden zu einem Bild gewoben,
das zu einem Teilstück wird eines größeren Bilds, eines Porträts von einer Stadt, dem Teil
einer Stadt mit seinen Bewohnern. Schauplätze des Geschehens sind eine Eisdiele, der Weg
entlang des kleinen Kanals, ein grauer Balkon und einige Straßenecken…
Auszug:
…
Ich weiß nicht, was es bedeutet, zwischen dem Estragon zu stehen auf meinem Balkon und auf die Straße herab zu schauen. Ich weiß nicht, wie ich Sie sehen kann, in der Zeit des Estragons. Sie schieben das Rad oder fahren sehr langsam. Bepackt mit Satteltaschen, rollen sie ihre Einkäufe über die Straße. Sie stemmen nicht mehr mit Wut und Wucht ihre Rucksäcke über den Weg, sie fahren nicht mehr stürmisch vorbei mit in die Ferne gehefteten Augen.
Neulich, als eine kühle Sonne schien, schoben Sie ihre Filzärmel hoch, ließen die Sonne auf ihre Arme scheinen, als wären Sie eine Frau, die ihre Arme betrachtet, auf die Sonne scheint. Dann schauten Sie hoch in die Bäume, um etwas zu prüfen. Der Regen hatte die Bäume satt gemacht, zutraulich. So auch die Vögel, die mit hellem Gesang in den Bäumen waren.
Der prüfende Blick – steht Ihnen gut. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wieviel sich erfüllt hat. Es fühlt sich nicht an, als hätte sich viel erfüllt, der Kopf meint gar, es hätte sich nichts erfüllt. Es ist die Art des Kopfes, so vorzugehen, weiß der Himmel warum. Denn es hat sich viel erfüllt, eigentlich alles. Es füllt sich in Stille, wie es bestimmt wird.
Es bestimmt sich im langsamen Voranbewegen, im Gehen. Vielleicht geht ihnen so etwas durch den Kopf, wenn sie ihre Arme betrachten, ich weiß es nicht.
Und manches Mal, wenn ich sie sehe, ist es wie eh und je, dass ein Schweif ihnen hinterherrauscht, ein langer gewundener Schwanz aus Verwerfungen, Barschheit und Lachen, aus Heiterkeit. Manchmal seh’ ich sie auch jetzt wieder lachen, mitten auf der Straße, breiten sie ihre Heiterkeit aus.
Ich weiß´ nicht, ob sie das wissen. Dass Heiterkeit sich kreisförmig ausbreitet wie die Wellen um einen Stein, der in einen stillen See geworfen wird.